Zusammenfassung:Christian Dustmann ist Professor für Ökonomie am University College in London.Rockwool FoundationDie
Christian Dustmann ist Professor für Ökonomie am University College in London.
Die Wirtschaft spielt im Bundestagswahlkampf nur die zweite Geige. Die Musik bestimmt der Krach um die Migration.
Dabei müssten die wirtschaftlichen Herausforderungen das Schlüsselthema sein, fordert der Ökonom Christian Dustmann. Nach dem TV-Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz pflichten ihm Kollegen bei.
Sie hoffen auf einen Wahlkampfendspurt, der den Ernst Wirtschaftskrise ebenso deutlich macht wie mögliche Auswege.
Wahlen werden im Portemonnaie entschieden. Diese Einsicht goss der US-Wahlstrategie James Carville schon 1992 in den berühmten Satz. „Its the economy, stupid. Für die Bundestagswahl sollte das allemal gelten. Schließlich steckt Deutschland in einer Wirtschaftskrise. Seit fünf Jahren wächst die Wirtschaft nicht mehr, dafür aber die Sorge um den Arbeitsplatz. Die Industrie schrumpft. Der Wohlstand gerät in Gefahr. Doch im Wahlkampf spielt das nur die zweite Geige. Die laute Musik bestimmt die Migration.
„Das Key-Thema für die Wahl müssen die wirtschaftlichen Herausforderungen sein“, fordert Christian Dustmann. „Es ist schade, dass darüber viel zu wenig diskutiert wird, und alles durch das Thema Migration überlagert wird”, sagt der in London lehrende Ökonom. Er baut in Berlin für die Rockwool Stiftung ein Forschungsinstitut für Wirtschaft und die Zukunft der Arbeit auf. Nach dem TV-Duell von SPD-Kanzler Olaf Scholz und CDU-Herausforderer Friedrich Merz pflichten ihm Ökonomen bei.
„Immerhin ging es im Fernsehduell auch um das Thema Wirtschaft“, sagt Michael Heise, Chefvolkswirt des HQ Trust. Aber: „Ausgereicht hat das Gesagte bei weitem nicht. Weder vom Anteil, den das Thema in der Sendung bekommen hat, noch was die Analyse der aktuellen Situation angeht.” Auch ING-Volkswirt Carsten Brzeski wundert sich angesichts der Krise: „Ehrlich gesagt, auch wenn es als Duell bezeichnet wurde, war das vielmehr eine relativ brave Präsentation der Ansichten beider Politiker.
Krise? Welche Krise? TV-Duell enttäuscht Ökonomen
Krise? Welche Krise? „Es kam zu wenig zur Sprache, dass Deutschland nicht nur in einzelnen Aspekten, sondern in praktisch allen wichtigen Standortfaktoren auf die hinteren Plätze zurückgefallen ist, sagt Heise und zählt auf: Steuerlast, Lohnkosten, Sozialabgaben, Energiekosten, Bürokratie und dem Tempo von Entscheidungen, Infrastruktur, Bildung und sogar beim Arbeitskräfteangebot.
Was Heise für die TV-Debatte feststellt, vermisst Dustmann auch in den Wahlprogrammen. „Ich hätte mir hier in den Programmen mehr Details und ausgearbeitete Vorschläge gewünscht“, sagt er. „Wir müssen verstehen, wo Deutschlands komparativen Vorteile liegen und wo wir Nachholbedarf haben.”
Dustmann nennt ein Beispiel, dass ihm am Herzen liegt: „Nehmen wir den Maschinenbau. Wir haben herausragende kleine und mittlere Unternehmen, oft Weltmarktführer, jedenfalls mit einer starken globalen Wettbewerbsfähigkeit. Hier müssen wir an den Problemen ansetzen, die es erschweren, diese Position zu halten. Da geht es um die Ausbildung an den Universitäten, um Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Patente.“Oder die Autoindustrie. Hier habe Deutschland den Wettbewerbsvorteil verloren, „da Verbrenner-Motoren in der Endphase sind”. Daher gilt: „Jetzt müssen wir bessere Batterien bauen, die länger halten. Und wir müssen die Veränderungen bei den Ansprüchen an das Auto verstehen. In Asien sind Autos längst mehr als ein Fortbewegungsmittel, sondern sie müssen auch eine voll computerisierte Umgebung bieten.
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Die TV-Debatte sei zur Wirtschaftspolitik oberflächlich geblieben, sagt Brzeski, gewinnt dem Duell nach dem Krach um die Migration aber etwas Positives ab: „Es war eine gut geführte Debatte, die die Tür für eine weitere große Koalition offen lässt. Schließlich lassen alle Umfragen zur Bundestagswahl 2025 erwarten, dass die CDU/CSU stärkste Partei, aber einen Koalitionspartner brauchen wird.
Eine Verständigung in der Mitte hält Dustmann für wichtig und möglich. „Es gibt in den Programmen von Union, SPD, FDP und auch den Grünen viele Gemeinsamkeiten. Vor allem gibt es eine große Einigkeit, dass die Wirtschaft gestärkt werden muss. Beim‚Wie“ gibt es Unterschiede, aber eben auch genügend Gemeinsamkeiten für Lösungen und Kompromisse.”
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Einigung auf bessere Schuldenregeln möglich
Dies gelte auch für den verhärteten Streit um neue Schulden. „Die Schuldenbremse wurde mit guter Absicht eingeführt. Ihr wichtigstes Ziel war und ist es, für Disziplin bei den Ausgaben zu sorgen“, sagt Dustmann. Das war 2009. „Wir erleben jetzt aber eine Phase großer struktureller Veränderungen. Dazu kommen neue Forderungen des US-Präsidenten und absehbar höhere Militärausgaben. In dieser Situation brauchen wir mehr Flexibilität”. Es gebe Möglichkeiten für einen Kompromiss. „Beispiel könnten Spezialpläne für bestimmte Aufgaben sein, die dann von der Schuldenbremse ausgenommen würden.
„Um Versäumnisse der letzten Dekade auszugleichen, müsste Deutschland in den kommenden zehn Jahren jährlich zusätzliche 1,5 Prozent des BIP investieren“, sagt Heise. Es gebe Sparpotenziale im Haushalt. „Doch allein durch Kürzungen wird sich der notwendige finanzielle Spielraum kaum schaffen lassen”. Es werde schwer vermeidbar sein, Sonderbudgets zu schaffen, um Investitionen zu finanzieren. Dies könne mit der Schuldenbremse in Einklang gebracht werden.
Brzeski will im TV-Duell dazu sogar ein Entgegenkommen von Merz vernommen haben. „Die bemerkenswerteste Bemerkung kam kurz vor dem Ende der Debatte. Auf Drängen der Journalisten öffnete Friedrich Merz die Tür für Änderungen an der Schuldenbremse, nicht sofort nach den Wahlen, sondern zu einem späteren Zeitpunkt.
Programm der AfD: „Viele Forderungen nicht durchdacht. Andere sind wirklich dumm
Kompromisse der Parteien der Mitte seien wichtig, weil es auch beim Wirtschaftsprogramm einen fundamentalen Unterschied zur AfD gebe. „Im Programm der AfD steht bei der Wirtschaftspolitik viel Blödsinn drin“, sagt Dustmann. „Vom ökonomischen Standpunkt sind viele Forderungen nicht durchdacht. Andere sind wirklich dumm.”
Da ist zum Beispiel die Forderung der AfD, Deutschland solle die Europäische Union verlassen und den Euro abschaffen. Dustmann, seit Jahren in London zu Hause, verweist auf das Beispiel Großbritanniens fünf Jahre nach dem Austritt aus der EU. „Der Brexit war für Großbritannien eine Katastrophe“, sagt Dustmann. „Nach unterschiedlichen Studien kostet der Brexit Großbritannien auf lange Sicht fünf bis 15 Prozentpunkte Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt”.
Das Beispiel gebe drei Mahnungen: „Erstens hat sich Großbritannien aus dem größten Wirtschaftsraum der Welt zurückgezogen. Das haben besonders viele kleine Unternehmen zu spüren bekommen, aber auch viele Haushalte, die auf einmal nicht mehr einfach so über Online-Händler Waren aus anderen Ländern bestellen konnten.
Zweitens habe sich die britische Politik über Jahre fast ausschließlich mit dem Brexit beschäftigt. Viele wichtige Themen sind liegengeblieben. Und „drittens sind besonders bei den Torys viele gute Leute rausgedrängt worden, die gegen den Brexit waren. Stattdessen sind viele unfähige Politiker in wichtige Ämter gekommen. Das hat sehr geschadet.
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